Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse

Eine Studie über die Errichtung von Spitzenklöppelschulen, Ausbildung von Berufsmusiker .......



Richard Ritter v. Dotzauer, Präsidenten der Prager Handelskammer, bemühte sich neue Einnahmequellen für seine angestammte Heimat zu erschließen.



Die Bewohner des hohen Gebirges — es sind hier nur die Erwerbsverhältnisse des böhmischen Anteiles berücksichtigt — zählen zu den ärmsten von Mitteleuropa. 


Die Studie: Abschrift
Nicht ohne einen günstigen Einfluß sind die modernen Verkehrsmittel auf dieselben geblieben, und Orte, die von einem Schienenstrang berührt werden, 
wie Schönbach an der Linie Tirschnitz — Schönbach, Bleistadt, Rothau. 
Graslitz an der Linie Falkenau— Graslitz, 
Neudeck an der Linie Chodau — Neudeck, 
Joachimstal an der Linie Schlackenwert— Joachimstal, 
Weipert an der Linie Komotau — Weipert und andere,
haben einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung genommen und sich zum Teil zu Sitzen der Großindustrie 
emporgeschwungen; 

Auch der rührige Erzgebirgsverein, der sich in eine größere Anzahl von Zweigvereinen gliedert, erblickt seine Hauptaufgabe darin, durch die Hebung des Touristenverkehres und die Einbürgerung winterlichen Sports — des Hörnerschlittenfahrens und des Skilaufens — den Bewohnern neue Einnahmsquellen zu erschließen; außerdem kann sich das Gebirge in den letzten Jahrzehnten einer größeren Zahl Männer rühmen — an ihrer Spitze stand durch 
viele Jahre der verstorbene ehemalige 

Präsident der Prager Handels-und Gewerbekammer, Richard Ritter v. Dotzauer 

— die als treue Söhne ihrer angestammten Heimat keine Mühe scheuen, durch die Einführung neuer Beschäftigungszweige — 
der Zucht der Kanarienvögel — und die Förderung schon bestehender — 
der Spitzenklöppelei, Instrumentenmacherei, Handschuhfabrikation und Spielwarenerzeugung 
— das nicht beneidenswerte Los ihrer Landsleute zu verbessern. 

Mühsam ringt der Erzgebirgsbauer dem Boden den spärlichen Ertrag an Hafer und Kartoffeln ab, der einzigen Früchte, welche noch angebaut werden; in Tragkörben wird hie und da der Dünger nach dem steilen Bergabhang gebracht und der kleine Acker mit Handgeräten bearbeitet, da dessen abschüssige Lage Wagen und Pflug nicht verwenden läßt; häufig zwingen ihn Schneefälle, die begonnene Aussaat zu unterbrechen, oder sie überheben ihn im Herbst der erhofften Ernte. Einiges nennenswertes Einkommen aus der Landwirtschaft bringen ihm bloß die Viehzucht und der Wiesenbau; 
doch leidet dessen Fechsung, die in der Regel nur einmal jährlich stattfindet, gar oft unter der Ungunst der Witterung. 



Das Erzgebirge nach seinen Siedlungen und der Beschäftigung seiner Bewohner. 

Durch Jahrhunderte gewährte der Bergbau den Bewohnern des Erzgebirges ihren Unterhalt; sein bis heute nicht erschöpfter Reichtum an Erzen gab dem Gebirge auch den Namen und manches neugegründete Gemeinwesen, das einer erst erschlossenen und abbauwürdigen Grube seine Entstehung verdankte, ward auch nach dem ihr entnommenen Erz benannt, so: Bleistadt, Kupferberg, Zinnwald, Graupen; 
letzteres ist nämlich der Name der etwa körnergroßen Kristalle des Zinnerzes. Seinen Anfang nahm er im Jahre 1163 mit der Auffindung einer silberreichen Erzstufe, und Harzer Bergleute wurden herbeigerufen, um die bisher im Erdinnern schlummernden Massen nützlichen Metalles zutage zu fördern. Es trat den erfahrenen Grubenarbeitern in großer Mannigfaltigkeit entgegen, und zwar als Zinn, Nickel, Kobalt, Uran, Wismut, Kupferkies, Rot-, Braun- und 
Magneteisenstein, besonders aber als Blei und Silber. Die blei- und silberführenden Gänge erstrecken sich nämlich von Meißen aus über Freiberg, Marienberg, Annaberg bis nach Joachimstal. Letztere Stadt gelangte im 15. und 16. Jahrhundert durch ihren Bergbau auf Silber, Uran, Wismut und Nickel zu hoher Blüte; hier prägten seit dem 
Jahre 1617 die Grafen Schlick eine Silbermünze, welche unter dem Namen »Joachimstaler « zu solchem Ansehen gelangte, daß derselbe in der abgekürzten Form Taler zum bleibenden wurde. Obwohl sehr zu- rückgegangen, ist dennoch der Bergbau unter allen Bergstädten des böhmischen Erzgebirges auch in der Jetztzeit hier noch am bedeutendsten; im Jahre 1891 wurden 37 t Silber- und 22 t Uranerze gewonnen. Er steht unter der Leitung einer kaiserlichen Berg- und Hüttenverwaltung. 

In jüngster Zeit hat das vielverheißende Radium die Blicke der gesamten wissenschaftlichen Welt auf Joachimstal gelenkt; es kommt nämlich in dem Uranpecherz vor, das bisher in der Emailmalerei, zur Herstellung des Urangelbs und anderer Farben, des Uranglases und noch weiteren gewerblichen Zwecken benutzt worden ist. Den Grubenwässern, die ebenfalls radiumhaltig sind, wird eine große Heilkraft bei Gicht und Rheumatismus zugeschrieben, so daß gegen- 
wärtig im k. k. Ackerbauministerium Beratungen über die Errichtung einer Kuranstalt mit Radiumbädern gepflogen werden ; auch getrunken wirkt das aus den Gruben abfließende Wasser gesundheitsfördernd und gleicht in dieser Beziehung der Guberquelle in Bosnien. 

Schwere Wunden schlug dem Bergbau des Erzgebirges der dreißigjährige Krieg, von welchen er sich nie mehr vollständig erholte; in mehreren Städten wurde er am Beginn des 19. Jahrhundertes vollständig aufgelassen. Es werden heutigentags nicht mehr abgebaut: 
die Gruben von Bleistadt (auf Blei und Eisen), 
Heinrichsgrün (auf Silber), 
Platten (auf Eisen), 
Frühbuß (auf Zinn), 
Gottesgab (auf Silber), 
Kupferberg (auf Kupfer und Silber), 
Preßnitz (auf Silber), 
Weipert (auf Silber und Kobalt) und andere. 


Nebst Joachimstal fördern gegenwärtig nur noch die Bergwerke von Abertham, Zinnwald und Graupen; im ersteren 
werden durchschnittlich im Jahre 60 f Zinnerz im Werte von iC. 60.800 abgebaut, das zur Verhüttung nach England ausgeführt wird; die beiden letzteren liefern auch dasselbe Erz. Die Gruben von Zinnwald beschäftigten im Jahre 1870 kaum noch zwanzig Bergleute, deren Zahl später sicher keine Vermehrung erfahren hat. Vor 
etwa einem Jahrzehnt ging. eine Gesellschaft daran die silberhaltigen Erzgänge bei der Stadt Klostergrab von neuem dem Betrieb zu erschließen; sie kam indes über die Vorarbeiten nicht hinaus. In allerjüngster Zeit hat ebenfalls eine Vereinigung von Kapitalisten und Fachleuten den Berghau bei Graslilz-Klingental auf Kupfererze wieder 
aufgenommen und fördert auch bereits ganz, ansehnliche Mengen dieses Erzes. 

Als mit dem Niedergang des Bergbaues den Bewohnern des Erzgebirges bitterste Not drohte, erschien ihnen als

 Retterin Barbara Uttmann, 

die Frau des Annaberger Bergherrn Christoph Uttmann, indem sie das Spitzenklöppeln einführte. Sie soll diese Kunst, deren Einbürgerung in das Jahr 1561 fällt, von einer Brabanterin erlernt 
haben, welche, als Protestantin aus ihrer Heimat vertrieben, bei ihr Unterkunft gefunden hatte. Wie sehr dadurch einem dringenden Bedürfnis abgeholfen wurde, erhellt wohl am besten aus dem Umstand, daß die Spitzenklöppelei in kürzester Zeit die verbreitetste Hausindustrie des gesamten Erzgebirges war. Sie bildet auch noch heute 
Tausenden von Bewohnern des mittleren und westlichen Teiles die einzige Erwerbsquelle; der Staat weiß darum auch ihre Bedeutung für die zahlreiche Bevölkerung dieses minder wirtlichen Erdstriches zu würdigen und ist bemüht, durch die Errichtung von Spitzenklöppelschulen die Erzeugnisse dieses Gewerbes auf eine zeitgemäß hohe Stufe zu stellen. Solche Schulen bestehen derzeit in Graslitz, Gossengrün, Heinrichsgrün und Gottesgab; gewöhnlich sind mit diesen Anstalten noch verwandte Fachkurse für Stickerei, Wirkerei und Seidenweberei verbunden. 

Zur Steigerung des Absatzes hat sich im Jahre 1903 auf Anregung des 

Hofrates A. v. Scala, Direktor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien, 

der Verein zur Hebung der Spitzenindustrie gebildet, dessen Protektorat die Frau Erzherzogin Maria Theresia übernommen hat. Das Wirken des Vereines, der rege Wechselbeziehungen mit sämtlichen Spitzenschulen des Landes unterhält und den Vertrieb ihrer Erzeugnisse an Kaufleute und Private vermittelt, erweist sich während der kurzen Dauer seines Bestandes der Spitzenindustrie höchst förderlich. 

Im Laufe der Zeit haben auch noch andere Gewerbe in den zahlreichen Ortschaften des Erzgebirges, die besonders in den Gerichtsbezirken Graslitz, Neudeck, Joachimstal, Platten, Preßnitz und Weipert 
Das Erzgebirge nach seinen Siedlungen und der Beschäftigung seiner Bewohner mit Rücksicht auf ihre hohe Lage eine überraschend dichte Bevölkerung besitzen, Eingang gefunden. 

Eine Wanderung von Südwest nach Nordost, den Kamm entlang, entrollt dem aufmerksamen Beobachter in bezug auf die Beschäftigung der Bewohner folgendes Bild: Schönbach und Graslitz sind die Mittelpunkte einer hochentwickelten 
Industrie, der Instrumentenerzeugung; in ersterer Stadt, wo sie bis vor etlichen Jahren nur Hausindustrie war, überwiegt die Verfertigung von Saiten, in letzterer von Blasinstrumenten, und zwar sowohl von solchen aus Holz als auch aus Metall. Damit sich ein jeder Arbeiter eine möglichst große Fertigkeit und Geschicklichkeit aneigne, ist bis ins kleinste Teilung der Arbeit durchgeführt; so scheiden sich beispielsweise die bei der Herstellung von Violinen Beschäftigten in Bogen-, Hals-, Steg- und Wirbelschnitzer, in solche, die das Grifibrett und den Saitenhalter anfertigen, und endlich in solche, welche den einzelnen Teilen des Schallkörpers, das ist dem Resonanzboden (der Oberplatte), dem Boden (der Unterplatte) und den beiden Zargen (den Seiten wänden) die entsprechende Stärke geben. Die letzteren Arbeiter setzen in der Regel das Instrument auch zusammen, überziehen es 
mit einem sehr feinen Lack, stellen die Stimme auf und besaiten es. 

Als Holzgattungen gelangen der Ahorn und die Fichte zur Verwendung, jener für die Unterplatte, die Zargen, den Hals und den Steg, diese für die Oberplatte; zu den Wirbeln und dem Saitenhalter wird sehr hartes Holz benützt und zum Griffbrett, besonders bei besseren Instrumenten, Ebenholz. Schönbach bezieht große Mengen Holz, das ausgewachsen und abgelagert sein muß, aus den Alpenländern, doch Fichte auch aus dem Böhmerwald. 

Die Zahl der Instrumentenmacher beträgt beiläufig 600 mit 400 männlichen und 200 weiblichen Hilfsarbeitern und die Zahl der jährlich erzeugten Instrumente, beziehungsweise ihrer Bestandteile und des sonstigen Zugehörs zu denselben beläuft sich auf etwa 
95.000 Geigen, 
1930 Bratschen, 
1200 Baßgeigen, 
14.200 Gitarren, Zithern und Mandolinen, 
87.000 Schachteln, 
137.600 Hälse und Böden für Bässe, Gellos und Geigen, 
4800 Violinbogen, 
105.800 Dutzend übersponnene Saiten, 
72.600 Dutzend Stege, 
56000 Dutzend Wirbel, ferner 
2000 Blechinstrumente, 
2000 Signalhörner, 
3000 Klarinetten und Flöten sowie 
3000 Etuis für Geigen und Zithern. 

Im Jahre 1885 ist die Instrumentenerzeugung durch eine Akkordeon- und Ziehharmonikafabrik vermehrt worden und seit dem Jahre 1892 die Herstellung von Darmsaiten, die staatlich subventioniert wird, eingeführt. 

Auf ebenso hoher Stufe steht auch die Instrumentenmacherei in Graslitz. Sie brachte im Jahre 1885 hervor: 
25.200 Stück Mundharmonikas,
18.391 Stück Metall-, 
22.416 Holzblasinstrumente, 
10.112 Streichinstrumente und 
50.000 Dutzend Kinderinstrumente. 

Sie hat ohne Zweifel seit dieser Zeit auf allen Gebieten eine namhafte Steigerung erfahren. Mit der Verfertigung von Blasinstrumenten und Kindertrompeten befaßt sich nicht allein die Hausindustrie, sondern ihre Herstellung geschieht auch fabriksmäOig. 
Für die Holzblasinstrumente,  
die Flöte, Klarinette und Oboe, werden hauptsächlich das Buchsbaum-und das Ebenholz verarbeitet. Dieses liefern Ostindien und der gleichnamige Archipel, jenes wird aus Südeuropa, Nordafrika, Südrußland und dem Orient eingeführt Um die Arbeiter zu befähigen, die verfertigten Instrumente nach ihrer Güte, das ist nach Reinheit und . 
Stärke des Tones beurteilen zu können, unterhält die Regierung in beiden Städten Musikfachschulen; dadurch haben sie sich auch zu beachtenswerten Pflegestätten der Tonkunst entwickelt. Absatzgebiete für die erzeugten Instrumente stellen die Länder aller Erdteile bei. 

Die Stadt Graslitz gilt nach ihrer Industrie als die Metropole des böhmischen Erzgebirges. Sie ist Hauptsitz der Spitzenklöppelei 

mit einer gut eingerichteten Klöppelschule, an die verwandte Fachkurse angegliedert sind; außerdem besitzt sie eine Perlmutterknopffabrik, eine Samtweberei und überdies je zwei Baumwollspinnereien und -Stickereien, wovon jede der letzteren 80 Maschinen mit 600 Arbeitern beschäftigt. In diesen Fabriken finden auch viele Einwohner 
der volkreichen Nachbarorte Eibenberg und Silberbach Arbeit und Verdienst. | 

Seit etwa zwanzig Jahren bekundet das alte Bergstädtchen Bleistadt, das vorher bloß in der Spitzenklöppelei einen unzureichenden Erwerb fand, eine regere gewerbliche Tätigkeit; es hat sich hier die Erzeugung von Musikinstrumenten, die Perlmutterknopf- und Glasfabrikation eingebürgert.

 
Das Erzgebirge nach seinen Siedlungen und der Beschäftigung seiner Bewohner. 

ins Leben gerufen, welcher die Aufgabe zukommt, tüchtige Berufsmusiker auszubilden. Die gewerbliche Tätigkeit der Stadt befaßt sich mit der Fabrikation von Zeliuloidwaren und Spitzenklöppelei. 

Die Einwohner der sich an Preßnitz anschließenden, in einer Talmulde zerstreut gebauten, großen Gebirgsgemeinde Reischdorf treiben lebhaften Holzhandel. 

Keilberg (1238 m) und Fichtelberg (1213m) umgeben, ist mit seiner 1020 m zählenden Meereshöhe bekanntlich die höchst- gelegene Stadt Böhmens. 

In die Augen springend ist die Bauart zahlreicher Ortschaften, wie von Silberbach bei Graslitz, Bernau, Neuhammer und Trinksaifen bei Neudeck, Seifen und Stolzenhain bei Gottesgab, Weipert, 
Reischdorf bei Preßnitz, Zinnwald und vieler anderer.
Ihre zerstreut stehenden Anwesen verteilen sich auf einen so weiten Raum, daß gewöhnlich eine mehrstündige Wanderung notwendig wäre, um sie zu umgehen; nicht selten hängen auch Nachbargenneinden unmittelbar zusammen. 

Die erste Bevölkerung des Erzgebirges bestand in thüringischen und ostfränkischen Kolonisten; ihre Mischmundart ist gegenwärtig fast vollständig von der obersächsischen verdrängt. In den Ortschaften westlich und südlich von Graslitz sowie südlich von Schönlind, Bäringen und Joachimstal wird jedoch der Egerländer Dialekt gesprochen, der ursprünglich als nordgauische Mundart bloß im Egerland und in der bayrischen Oberpfalz heimisch war. 

Die Bewohner des hohen Gebirges — es sind hier nur die Erwerbsverhältnisse des böhmischen Anteiles berücksichtigt — zählen 
zu den ärmsten von Mitteleuropa.